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Alle Neune

Jetzt, wo es fast vorüber ist, kann ich es ja verraten: Ich wohne hier mit neun Männern. Fünf hängen im Wohnzimmer rum und vier im Küchenflur.

wohnzimmerjungsDie Küchenmännerprofile sehen ein wenig enttäuscht aus: Ich bin keine Köchin. An dieser wilden WG nehmen teil: Herr Goethe, Herr Mörike, Herr Hölderlin, Herr Schwab (Gustav), Herr Uhland, Herr Schiller, Friedr. Freiherr von Cotta, Jean Paul. Gunther Geltinger hat sich unter die Schar geschmuggelt, gemeinsam peitschen wir den Anteil der Lebenden in die Höhe. Frauenanteilshalber darf mir gute Gesundheit gewünscht werden, ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, esse viel Obst und verewige mich als Schatten:

Der Schatten des Körpers der Stipendiatin, mit Socken
Der Schatten des Körpers der Stipendiatin, mit Socken

Zu meinen WG-Männern pflege ich, man kann es nicht anders sagen, ein distanziertes Verhältnis. Es sind mir ein bisschen viele. Ich gebe zu, ursprünglich hatte ich sie zwecks Auflockerung überhängen wollen: mit Astrid Lindgren, Marie Luise Kaschnitz, Marlen Haushofer, Arundhati Roy, Gertraud Klemm … Ich kam nicht dazu. Hatte noch was zu schreiben. Also starre ich weiter, wenn ich die Wohnung betrete, unverwandt und frontal auf meine Küchenjungs, die immer zur Seite gucken, alle in dieselbe Richtung:

Stuttgarter Schriftstellerhaus
Dort steht: die Herdplatte.

Na ja. Was will man auch erwarten.

Ulrike Schäfer
Ulrike Schäferhttp://www.ulrike-schaefer.de/
Ulrike Schäfer, geb. 1965 in München, lebt in Würzburg. Sie schreibt Prosa, Theaterstücke und Sachtexte zur Literatur und erhielt u. a. den Würth-Literaturpreis und den Leonhard-Frank-Preis für Dramatik. Ihre Bühnenfassung des Romans „Die Jünger Jesu“ von Leonhard Frank wurde 2015 im Mainfranken Theater Würzburg uraufgeführt. Im August 2015 erscheint ihr Erzählband "Nachts, weit von hier" bei Klöpfer & Meyer.