Das junge Schriftstellerhaus

Die fünf Säulen eines Romans

Von Moritz Hildt und Catarina Da Silva

Ein Roman ist zunächst einmal nichts anderes als eine Prosaerzählung von einer gewissen Länge, bzw. genauer, ab einer gewissen Länge: Die kürzeste Prosaform ist die  literarische Skizze oder Vignette, die selten mehr als eine oder zwei Seiten umfasst. Etwas länger ist die Kurzgeschichte (Edgar Allen Poe beantwortete die viel diskutierte Frage, was denn der richtige Umfang für eine Kurzgeschichte sei, ebenso pragmatisch wie überzeugend: eine Kurzgeschichte zeichne sich dadurch aus, dass man sie in einem Zuge durchlesen könne), auf die wiederum die Novelle folgt. Ab einem Umfang von etwa 40.000 Worten spricht man dann für gewöhnlich von einem Roman. Nach oben hin gibt es keine Grenze. 

Während Romane noch bis ins 19. Jahrhundert keinen guten Ruf hatten und als billige Unterhaltungsliteratur galten, sind sie inzwischen zur beliebtesten Prosagattung geworden. Nichts wird so gern und so viel gelesen wie Romane.

Wenn du dich mit dem Gedanken trägst, einen Roman zu schreiben, ist es keine schlechte Idee, dich wie bei allen anderen literarischen Formen auch mit den Grundzutaten und -erfordernissen auseinanderzusetzen. Aus kompositorischer Sicht, so unser Vorschlag hier, kann man den Roman so verstehen, dass er auf fünf Säulen ruht:

Erste Säule: Das Thema

An jeden Roman lässt sich die Frage stellen: Worum gehts?Die Antwort darauf gibt das Thema, das sich bestenfalls in einem einzigen Satz (oder einer Frage) formulieren lässt.

Man spricht hier manchmal auch von der Prämisse des Romans gemeint ist damit die These oder Aussage, die dem Roman zugrunde liegt. Im Planungs- und Schreibprozess ist es enorm wichtig, dass du selbst eine klare Vorstellung vom Thema, bzw. der Prämisse deines Romans hast. Denn das ist es, was dir im Zusammenspiel mit einer starken Hauptfigur und einem sinnvollen Plot den roten Faden zum Schreiben an die Hand gibt.

Ohne ein klares Thema die Arbeit an einem Roman zu beginnen ist so ähnlich wie das Planen einer Wanderroute ohne rechte Ahnung, wohin man will nicht unmöglich, aber Widrigkeiten sind vorprogrammiert

Zweite Säule: Die Hauptfigur

Jeder Roman hat eine Hauptfigur jene Person, die im Zentrum des Romangeschehens steht. Deine Hauptfigur (man spricht auch vom Protagonisten oder Helden) sollte interessant und ein runder, nachvollziehbarer Charakter sein, damit die Leserinnen oder Leser mit ihr mitfühlen, mitfiebern und neugierig sind, was ihr geschieht. Daher solltest du dir beim Entwickeln deiner Hauptfigur Zeit lassen, denn ein oberflächlicher Steckbrief schafft noch keinen Charakter mit Tiefe. Nichts lässt eine Leserin einen Roman so schnell weglegen wie eine Hauptfigur, die sie kalt lässt. Am wichtigsten an deiner Hauptfigur ist aber, dass sie aktiv ist, oder, wie es Kurt Vonnegut einmal ausgedrückt hat: Jede Hauptfigur sollte etwas wollen, und wenn es auch nur ein Glas Wasser ist. Warum?

Die Hauptfigur stellt den Motor der gesamten Geschichte dar: Sie ist es, die durch ihr Tun die Romanhandlung vorantreibt. Die einfachste Formel dafür ist: Die Hauptfigur will etwas kriegt es aber nicht.

Dritte Säule: Der Konflikt

Nach sieben ermüdenden, letztlich aber vom Erfolg gekrönten Jahren des Trojanischen Kriegs will Odysseus nur noch eines: nach Hause kommen, zu seiner Frau und seinem Sohn, die er all die Jahre nicht gesehen hat. Würde er sich einschiffen und ohne Umwege nach Hause segeln, wäre die Geschichte von Homers Odyssee nicht nur schnell vorbei es wäre genau genommen nicht mal eine richtige Geschichte. Denn ihr würde eine der wesentlichen Säulen fehlen: der Konflikt. Die Hauptfigur, haben wir oben gesagt, will etwas, kriegt es aber nicht. Die Hindernisse, die den Konflikt herbeiführen, können von Außen (= andere Menschen oder auch die Umstände, das Schicksal, antagonistische Kräfte) kommen, aber auch von Innen (= die Psyche der Hauptfigur, ihre eigenen Ängste und Unzulänglichkeiten). Oft gibt es auch einen Gegenspieler des Protagonisten, der zumindest für einen Großteil des Konflikts verantwortlich ist. Hier spricht man dann vom Antagonisten.

Hieraus entsteht der Konflikt, der die Handlung befeuert: denn trotz der Hindernisse, die sich der Hauptfigur in den Weg stellen, hält sie an ihrem Ziel fest und tut alles, was in ihrer Macht steht, um es zu erreichen. Interessant und dramatisch wird der Konflikt dann, wenn deinen Lesern zwei Dinge klar sind: warum das Ziel, das deine Hauptfigur verfolgt, wichtig ist, und welche Konsequenzen drohen, wenn die Figur scheitert. Eine gewisse Fallhöhe verleiht dem Konflikt also seine Bedeutung und Spannung.

Für gewöhnlich gibt es in einem Roman nicht nur einen, sondern mehrere Konflikte, kleinere und größere. Wichtig ist aber beim Schreiben, dass du dir stets vor Augen hältst, was den zentralen, wichtigsten Konflikt der Hauptfigur darstellt.

Vierte Säule: Die Handlung

Die Hauptfigur, haben wir gesagt, will etwas, doch sie wird mit Hindernissen konfrontiert. Hieraus entsteht der Konflikt, das (an)treibende Moment für das Geschehen des Romans. Die Handlung ist genau das: die auf einander folgenden Ereignisse des Romans, vom Anfang über seine Mitte bis zum Schluss. Manchmal findet man hier die Unterscheidung zwischen Story und Plot: Mit Story ist dann die bloße Abfolge der Ereignisse gemeint, mit Plot die spezifische Art und Weise, mit der die Autorin oder der Autor diese Abfolge arrangiert bzw. erzählt. Für den Bogen der Handlung gilt: Während am Anfang die Hauptfigur eingeführt wird, damit die Leserinnen und Leser sie kennenlernen können, besteht der Mittelteil des Romans aus den Versuchen der Hauptfigur, ihren Konflikt zu lösen. Du kannst dir für die Planung der Szenen die Frage stellen: Warum ist dieses Ereignis wichtig? Wie treibt es den inneren oder äußeren Konflikt der Hauptfigur und somit auch die Handlung voran? Der Schluss des Romans bringt dann eine (gewisse) Auflösung bzw. Einsicht der Hauptfigur. Für gewöhnlich wachsendeine Protagonisten durch die Überwindung ihrer äußeren oder inneren Hindernisse: Sie sind am Schluss ein (in Teilen) anderer Mensch.

Fünfte Säule: Die Botschaft

Genauso wie jeder Roman ein Thema hat, hat auch jeder Roman eine Botschaft. Diese Botschaft kann eine offensichtliche Moralsein Betrug zahlt sich nicht aus, die Letzten werden die Ersten sein, die wahre Liebe wartet häufig dort, wo man sie nicht vermutet. Aber natürlich kann die Botschaft auch subtiler sein, zum Beispiel, indem dein Roman seine Leserinnen und Leser auf ein allgemeinmenschliches Problem hinweist (wir sehnen uns nach Nähe, wollen aber unsere Freiheit nicht aufgeben) oder auf eine existentielle Frage (wir haben ein Grundbedürfnis nach Kontrolle, obwohl viele entscheidende Dinge im Leben dem Zufall geschuldet sind). Achte darauf, dass die Botschaft in enger Verbindung zum Thema bzw. der Prämisse deines Romans steht und damit, was die Hauptfigur durch die Überwindung ihrer inneren und äußeren Konflikte gelernt hat.

 

Text: Moritz Hildt und Catarina Da Silva

 

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