Eine der Sachen, die mir an Aufenthaltsstipendien am besten gefallen, ist, dass man, also ich jedenfalls, vorher immer alles erledigt. Beinahe zwanghaft wird alles abgearbeitet, wie es sonst so gar nicht meine Art ist. Auf dem Schreibtisch, in der Wohnung, im Leben wird klar Schiff gemacht, alles wird auf Vordermann gebracht. (Es gibt diese Vaterfigur in meinem Roman, die immer in Militärfloskeln spricht). Steuererklärung, Abrechnungen, Friseur- und Arztbesuche, alles vorher erledigt. Die Wohnung in Leipzig geputzt, wie lange nicht, Altglas und Pfand weggebracht (sie so hinterlassen, dass ich mich nicht zu Tode schämen müsste, sollte jemand sie, Gott bewahre, in meiner Abwesenheit betreten). Das alles, damit ich hier Zeit habe, mich auf das Schreiben zu konzentrieren. Und dann habe ich also Zeit. So viel Zeit, so viele Nachrichten. Dem morgen- und abendlichen Doomscrolling bietet hier eine höhere Gewalt oftmals Einhalt (ist das auch Militärsprache? Ich werde es später googeln), in Form einer unzuverlässigen Internetverbindung.
Das Manuskript von BUCH 2 ist fertig, abgegeben, jetzt kommt das Lektorat. Das auf sich warten lässt, weil gerade alle in Frankfurt auf der Buchmesse sind. Ich lektoriere mich also schon mal selbst. Das erfordert meine Aufmerksamkeit nicht im selben Maße, wie das eigentliche Schreiben es täte. Was ist denn das eigentliche Schreiben, korrigiere ich mich sofort. Gehört das nicht alles zusammen? Text produzieren und streichen, kürzen, (Letzteres überhaupt das Beste, meiner Meinung nach).
Es bleibt jedenfalls noch genug Zeit übrig, um, beispielsweise, einen Ausflug nach Marbach zu machen, ins Literaturarchiv, wo ein befreundeter Autor liest. Zusammen mit zwei anderen Autorinnen, sie alle sind dieses Jahr Stipendiat*innen des Landes Baden-Württemberg. So wie ich ja, indirekt, auch. Also werde ich freundlicherweise spontan ebenfalls zum Essen eingeladen und zu einer Führung durch das Archiv.
Wir sehen, zwei Tage vor ihrem 50. Todestag, Briefe von Ingeborg Bachmann. Einen Brief und eine Locke von Schiller (mir fällt zum ersten Mal auf, dass dieser geräucherte Fisch wohl nach ihm benannt sein muss). Eine Lesungsabsage Thomas Manns und die Stachelschweinborstensammlung von Robert Gernhardt.
Etwas, das auch Schiller gehörte und als Handwärmer bezeichnet wird, obwohl es an etwas anderes erinnert. Wie viel Spaß müsste es bringen, als Autor*in einmal nach dem eigenen Tod durch dieses Archiv zu gehen! Stefan Hornbach und ich sprechen darüber, ob man schon einmal mit dem Sammeln beginnen sollte. Wäre es eitel, eine Marbachkiste unter dem Schreibtisch zu haben? Und würden sie die Dinge nehmen, die ich hineintäte, oder sich andere suchen? In meinem ersten Roman, Die Überflüssigkeit der Dinge, stirbt die Mutter der Protagonistin am Anfang plötzlich und Ina, ihre Tochter, muss das Haus ausräumen:
Im Badezimmer im Obergeschoss starrte ich eine Weile ihre Bürste an, die auf dem Waschbeckenrand lag, mit ein paar restlichen Haaren darin, die langen, kräftigen grauen Haare meiner Mutter. […] Die Haare einer Lebenden, die morgens aufstand, duschte, sich die Zähne putzte, die Haare kämmte.
Ich denke darüber nach, welche überflüssigen Dinge von mir eines Tages in Marbach landen würden.
- Sehen Sie hier die Altglassammlung von Janna Steenfatt, die darauf hindeutet, dass sie zum Zeitpunkt ihres Ablebens schon länger kein Aufenthaltsstipendium mehr hatte.
- Batteriebetriebener Handwärmer aus Silikon in Form eines Delfins, frühes 21. Jahrhundert.
- Steenfatts DVD* – Sammlung, (*ein bis in die frühen 2010er Jahre hinein beliebtes Medium, das in den folgenden Dekaden zunehmend an Bedeutung verlor), die darauf schließen lässt, dass die Autorin sich intensiv mit dem Sujet der amerikanischen Sit-Com auseinandergesetzt hat, insbesondere solcher, die im Krankenhausmilieu angesiedelt sind.