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Buchtipp von Moritz Hildt: „Die Stille“ von Don DeLillo

Der US-amerikanische Romancier Don DeLillo, der im beschaulichen New Yorker Vorort Bronxville lebt (in dem es übrigens einen fabelhaften Buchladen gibt) und öffentliche Auftritte scheut, war schon immer eine gute Adresse für Geschichten, in denen das Unvorhergesehene plötzlich, und in gesamtgesellschaftlicher Bandbreite, ins Leben seiner Protagonisten einbricht – deren Alltag bis dahin meist ähnlich betulich ist wie ein nachmittäglicher Spaziergang durch die Straßen von DeLillos Heimatort.

In seinem neuen Roman, dem nur gut hundert Seiten schlanken Die Stille, geschieht einmal mehr genau das: Während des SuperBowl-Sonntags (also dem Finale der Football-Saison) im Jahr 2022 versagen aus ungeklärten Umständen alle digitalen Geräte ihren Dienst. Vom Fernseher, vor dem das pensionierte Akademiker-Ehepaar Diane Lucas und Max Stenner sitzen und auf den Spielbeginn warten, bis hin zum Flugzeug, in dem deren Freunde, Tessa Berens und ihr Mann Jim, gerade von einem Urlaub aus Paris zurückkommen – mit einem Mal geht nichts mehr. Der Fernseher bleibt schwarz und dem Kapitän gelingt es, mit Ach und Krach und gerade noch so, das Flugzeug notzulanden.

Was den kleinen Roman so besonders macht, sind mindestens drei Dinge. Erstens, und das ist eines von DeLillos Markenzeichen, konzentriert sich die Erzählung gerade nicht auf die Frage, was passiert ist, was also der Grund für die eklatante Ausnahmesituation ist. Was den Autor stattdessen interessiert, sind die Protagonisten und die Art und Weise, wie sie auf diese Situation reagieren – wie sie den Drahtseilakt meistern, oder, besser, zu meistern versuchen, vor dem sie plötzlich stehen, als ihre wohlige Normalität jede Selbstverständlichkeit verliert.

Zweitens ist es gerade die reduzierte, kondensierte Form des Romans, die ihn so gut macht: Beschränkt auf etwas mehr als hundert Seiten und nur fünf Protagonisten – neben den beiden Paaren noch ein ehemaliger Schüler der Physikprofessorin Diane, den sie, ebenso wie Jim und Tessa, zum SuperBowl-Anschauen eingeladen hat – tritt die latente Beunruhigung, die von einer derartigen Situation ausgeht, deren Gefahrenpotential und Folgen unabschätzbar sind, besonders eindrucksvoll zutage.

Der letzte Grund ist fast schon zu offensichtlich: In einem Jahr, in dem allen von uns das Unvorhergesehene so gegenwärtig ist wie in diesem, ist eine Erzählung wie die DeLillos fraglos – um ein abgedroschenes Kritiker-Wort zu bemühen – „zeitgemäß“. (Die Corona-Pandemie hat im Roman sogar schon einen Gastauftritt; zum Glück nur einen ganz kurzen.)

Der kleine Roman vermag es aber vor allem, und das ist eine seiner großen Stärken, die entscheidenden Fragen offen zu lassen. Ist Die Stille am Ende ein Katastrophenroman? Eine Groteske? Eine Erzählung von Hoffnung, Menschlichkeit und der Kraft der Anpassung? Keine Ahnung. Der Roman versperrt sich der Eindeutigkeit – wie das Leben selbst.

Don DeLillo: Die Stille, übersetzt von Frank Heibert, Verlag, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2020, 112 Seiten

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