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Zum Tod von Peter O. Chotjewitz

„Es gibt ein richtiges Leben im Falschen“

Gerade zwei Wochen ist es her, dass Peter O. Chotjewitz und Cordula Güdemann im Stuttgarter Literaturhaus ihr neuestes Buch vorgestellt haben, eine Kooperation zwischen der Malerin und dem Schriftsteller, „49 VIPs“, gemalt und in dreizeiligen „Simultantexten“ beschrieben. Es war ein Abend in freundschaftlicher und dank der Jazzmusiker Patrick Bebelaar und Frank Kroll fast heiterer Atmosphäre, auch wenn man ahnen konnte, dass es einer der letzten öffentlichen Auftritte sein würde.
„Bitte kommen, bitte kommen“, hatte Chotjewitz dazu per Rundmail eingeladen; er wusste, wie es um ihn stand und die Freunde wussten es auch, spätestens seit der Mitteilung vom September. Darin hatte es geheißen, die Buchmesse sei abgesagt und vier Kisten Nachlass zu Lebzeiten in Marbach abgegeben; ironisch gab der Kranke dazu einen Bericht der überstandenen Therapien und der anstehenden: „Ich bin zuversichtlich, dass es auch diesmal nichts nutzen wird“.So täuschte er uns über den Ernst der Lage hinweg, versuchte ihn noch neulich abends mit angeblichen Schreibplänen, mit Lächelgrübchen zu überspielen.
Peter O. Chotjewitz wird uns und Stuttgart – wo er seit 1995 mit seiner Frau, der Kunstprofessorin Cordula Güdemann und den Töchtern lebte – fehlen, denn er war wie wenige in der Stadt präsent. Man traf ihn im Theater und in der Bohnenviertel-Kneipe, im Literaturhaus, in der Stadtbücherei und im Schriftstellerhaus – und eben nicht nur bei den zahlreichen eigenen Auftritten, sondern als Zuschauer, der sich interessierte und das Gespräch suchte. Ein Herr, sommers im weißen Leinenanzug oder im Dreiteiler, meist mit Hut, in den letzten Jahren in der Hand den Stock mit Silberknauf; er hätte rein äußerlich einem Roman Thomas Manns entlaufen sein können, mit dem ihn sonst wenig verband, war er doch kein Bourgois, sondern ein aufrechter Linker.Geboren wurde Peter O. Chotjewitz 1934 in Berlin, aufgewachsen ist er in Nordhessen, wohin die Familie nach Kriegsende zog. Nach dem Realgymnasium machte er eine Anstreicherlehre und besuchte daneben das Abendgymnasium, um studieren zu können: erst Jura in Frankfurt und München, nach einer Zeit als Referendar am Berliner Kammergericht Publizistik, Geschichte und Philosophie an der FU Berlin. Seine Juristenkarriere wollte er mit dem zweiten Staatsexamen beenden, kurzzeitig nahm er sie als Wahlverteidiger von Andreas Baader und Peter-Paul Zahl wieder auf. Die Ereignisse des „Deutschen Herbstes“ bildeten dann auch den Hintergrund seines ersten Romanerfolgs, „Die Herren des Morgengrauens“, der 1978 bei Rotbuch erschien, nachdem Bertelsmann die Veröffentlichung wegen angeblicher Werbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen verweigerte. Die Neuausgabe von 1997 enthält eine spannende Dokumentation der damaligen Zensurgeschichte.
Seit 1965 hat Chotjewitz Bücher publiziert: zuerst kühn-experimentelle, frech-sprachwitzige Prosa, angesiedelt im Berliner Milieu der 68er Jahre: „Hommage à Frantek. Nachrichten für seine Freunde“ und „Die Insel. Erzählungen auf dem Bärenauge“ bei Rowohlt; die Stereotexte „Vom Leben und Lernen“ bei März, die Romanstudien „Tod durch Leere“ bei Oberon; später näherte er sich einem realistischen Stil, nicht ohne immer wieder gern mit anderen literarischen Mitteln zu spielen, das bereitete ihm offensichtlich Spaß und ganz leicht wollte er es seinen Lesern nicht machen – das hat wohl dazu geführt, dass er nie einen wirklichen Bestseller landen konnte. Erfolgreich war der Roman „Das Wespennest“, 1999 erschienen und die deutsche Geschichte thematisierend; eher Diskussions- denn Lesestoff „Mein Freund Klaus“ von 2007, eine Art Biografie über den RAF-Verteidiger Klaus Croissant, die neben dieser schillernden Figur auch die Enge der 1960er Jahre beschreibt, in Stuttgart und anderswo.
Vierzig Werke listet die Bibliografie von Peter O. Chotjewitz, endend mit den „fast letzten Erzählungen“, von denen sein letzter, der Verbrecher Verlag, zwei Bände vorgelegt hat, die verstreut Publiziertes versammeln, denn er hat unentwegt auch für Zeitungen wie den „Freitag“ und Zeitschriften geschrieben. Außerdem übersetzte er aus dem Italienischen, vor allem die Theaterstücke von Dario Fo.Italien und italienische Kulturgeschichte waren für Chotjewitz wichtig, seit er 1967 mit einem Stipendium der Villa Massimo nach Rom gekommen war und dort einige Jahre gelebt hatte; eines seiner schönsten Bücher ist „Rom. Spaziergänge auf der Antike“ (1999), das ambitionierteste und ein wirkliches Lesevergnügen der 2004 erschienene Prachtband „Alles über Leonardo da Vinci“.
Wer einen solchen Titel unbescheiden findet, kannte Chotjewitz nicht: Er war von einem immensem Wissen und breitete das mit Lust, manchmal ausufernd vor den Zuhörern aus. Seine ungeheure Neugier auf die Welt und seine Freude am Weltlichen, am Essen und Trinken, machten ihn liebenswürdig und selbst den Leuten, die einen kritischen Linken skeptisch beäugen, sympathisch.
In den Anmerkungen zu den „49 VIPs“ heißt es: „Es gibt ein richtiges Leben im Falschen“ – da hat Chotjewitz nicht nur en passant Adorno korrigiert, sondern ein Motto formuliert, zu dem der ebendort niedergelegte „Letzte Wille“ passt: „Such nicht nach mir wenn / der Komet seine Bahn zieht / im Schutt der Höhle“.

Irene Ferchl

Die Beerdigung findet am Dienstag, dem 21. Dezember 2010 um 14 Uhr auf dem Dornhaldenfriedhof in Stuttgart-Degerloch statt.

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