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„Mit gefesselten Fäusten“. Hörbuchpremiere des Theatermonologs unserer Stipendiatin Rike Reiniger

Am 16.09.2024 feierte unsere Stipendiatin Rike Reiniger zusammen mit dem Schauspieler und Synchronsprecher Paul Worms im Stuttgarter Hospitalhof die Premiere ihres neuen Hörbuchs Mit gefesselten Fäusten. Darin bearbeitet die Autorin die Verfolgung der Sinti und Roma in Deutschland während der NS-Zeit und schreibt über das Nicht-Vergessen-Können, Zivilcourage und Verantwortung. Die Lebensgeschichte des Sinto-Boxers Johann Wilhelm „Rukeli“ Trollmann steht dabei exemplarisch für tausende verlorene Schicksale.

Paul Worms Am Montagabend betrat zunächst Paul Worms den Elisabeth-und-Albrecht-Goes-Saal im Hospitalhof, um eine Geschichte von ewigem Kampf zu erzählen. Doch wessen Geschichte? Die von den Figuren Ruki und Hans, von Johann Wilhelm Trollmann, die einer bedrohten Minderheit oder gar die eines ganzen Volkes? Wie sich im Laufe des Abends herausstellte, kommt es ganz auf die Perspektive an. Es sind die Geschichten all dieser Figuren und Personengruppen, die Rike Reiniger in ihrem Hörbuch Mit gefesselten Fäusten vereint.

In ihrem Text setzt sich die Autorin mit historischen Tatsachen und realen Personen auseinander und bereitet sie mit fiktiven Elementen auf. Am meisten sticht dabei die Figur Hans heraus, aus deren Erinnerung das Geschehen erzählt wird. Im Gegensatz zu Ruki, Hans’ bestem Freund, existierte Hans jedoch nie als reale Person. “Ruki”, das ist der tal

entierte und erfolgreiche Boxer, der 1933 Deutscher Meister im Halbschwergewicht werden sollte. Die Figur basiert auf dem Sinto-Boxer Johann Wilhelm „Rukeli“ Trollmann, dessen Karriere zu Beginn der NS-Zeit grausam beendet wurde.

Umso Paul Wormseindrucksvoller wurden der Wert und die Wirkung von Hans’ Erinnerung am Premierenabend durch den Schauspieler Paul Worms dargestellt, der auch im Hörbuch der Rolle seine Stimme leiht. Nach allen Regeln der Schauspielkunst und lediglich mit einem Stuhl und einer Schreibtafel als Requisite präsentierte er den Text auf eine ergreifende Weise. Die etwa fünfzigminütige Performance endete mit großem Applaus, daraufhin wurde der Abend fortgesetzt mit einer Gesprächsrunde. Die Gäste und das Publikum diskutierten unter der Moderation von Ulrike Kammerer interessante Hintergründe zum Text und seinem Entstehungsprozess, dabei stand vor allem die historische Vorlage im Fokus.

Im Gespräch berichtete Rike Reiniger davon, dass sie der Stoff rund um Trollmann und dessen Lebensgeschichte fasziniert habe und sie ihn deswegen literarisch aufarbeiten wollte. Bei einem Theaterprojekt in Kooperation mit der Gedenkstätte Buchenwald sei sie auf sein Schicksal und das vieler anderer Opfer gestoßen und habe beschlossen, darüber zu schreiben. Rike Reiniger selbst zählt nicht zu den Betroffenen. Aus der Perspektive des Sinto-Boxers konnte sie dessen Geschichte deshalb nicht erzählen.

GesprächsrundeLetztendlich hatte sich die Autorin dazu entschieden, die Figur Hans als Mittelpunkt der Geschichte einzuführen und Ruki als Nebenfigur in Erscheinung treten zu lassen, die sich bei genauerem Hinsehen als Protagonist entpuppt. Paul Worms bezeichnete die Rolle des Hans als ein „Geschenk“, da auch er als Außenstehender keinem Sinto seine Stimme im Stück nehmen, aber trotzdem einen positiven Beitrag leisten und an der Aufklärung über Trollmanns Schicksal künstlerisch mitwirken wollte.

Auch aus dem Publikum wurden viele Fragen gestellt, die neue Interpretationsansätze aufwarfen. In der Figur Hans sehen viele einen Opportunisten, dessen emotionale Zerrüttung ihn zwar nahbar macht, dessen Taten aber eine Sprache der Feigheit sprechen. Andere Stimmen betrachteten die Ermordung Rukis als einen Freundschaftsakt, durch den Hans ihn von lebenslanger Erniedrigung und Qual erlöst. Die Autorin beteuert, die Rolle Hans befinde sich “immer im Kampf mit ihren eigenen Erinnerungen”.

Zum Schluss gab Rike Reiniger einen kleinen Vorgeschmack darauf, an welchem Projekt sie während ihres Stipendiums im Schriftstellerhaus arbeitet. Ihr nächster Roman wird voraussichtlich eine Biografie über die Animations- und Illustrationskünstlerin Lotte Reiniger. Wir dürfen uns also erneut auf die literarische Bearbeitung einer einzigartigen Lebensgeschichte freuen und wünschen unserer Stipendiatin gutes Gelingen bei ihrem Vorhaben!

Das Hörbuch Mit gefesselten Fäusten ist ab sofort beim Griot Hörbuchverlag erhältlich.

Bilder und Text von Nathalie Pfannendörfer

 

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