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Parkhausüberlegungen

Den folgenden Text habe ich ursprünglich für eine Lesung, die am 16.06. stattfand, geschrieben. Die Absätze fungierten dabei als Einschübe zwischen Gedichten, die in Stuttgart entstanden sind. Für diesen Blogbeitrag habe ich den Text angepasst und die Gedichte durch andere Einschübe ersetzt. Einschübe in Einschüben. Die unaufhaltbare Fragmentierung meiner Gedanken setzt sich fort. Collagen und Collagen und Collagen in allen Medien von allem, was sich nicht schnell genug verweigert.
Die Lesung begann im Schriftstellerhaus und dann gingen wir hinüber zu einem Parkhaus in der Nachbarschaft.

Am Tag nach der Veröffentlichung des letzten Blogbeitrags begegneten mir fliegende Papageien. Am darauffolgenden Tag auch. Seit dem habe ich sie wieder nicht mehr gesehen, aber noch mehrfach gehört. In den Blättern der Platanen konnte ich sie nicht im vorübergehen/-laufen erkennen. Wieso schreibe ich schon wieder ein Update zu ihnen? Vielleicht finde ich es irgendwie passend, da ich nach meinem erstes Aufenthaltsstipendium vor drei Jahren, als ich wieder zu Hause in Düsseldorf auf dem Balkon saß, Düsseldorfer Papageien beobachtete, die im Walnussbaum im Garten herumkletterten. Sie schlichen sich so in den Blogbeitrag, den ich damals schrieb. Fühle ich mich zu Hause, wenn es grüne Papageien gibt?

Einige Texte sind zum Hören und einige sind zum Lesen. Die Gedichte, die ich die letzten zweieinhalb Monate geschrieben habe, sind wohl eher Lese-Gedichte. Wahrscheinlich behaupten alle Schreibenden, dass ihre Texte besser werden, wenn man ihnen mehr Zeit gibt, wenn man sie in sich hineinstopft und dann aber langsam wie ein Bonbon auf der Zunge zergehen lässt.
Wenn Dichtung von „verdichten“ kommt, von reduzieren, so sind, womit ich mich in Stuttgart beschäftigt habe, wohl wahre Gedichte. Es geht natürlich immer noch extremer, aber oft lassen sich kaum ganze Sätze zusammen puzzeln, während gleichzeitig einzelne Worte Spiralen drehen, Assoziationsketten anstoßen, sich wiederholen und wiederholen und nicht von der Stelle kommen. Es ist immer fraglich, wie sinnvoll es ist, über das eigene Schreiben zu schreiben und vorzugreifen oder im Nachhinein zu erklären, was man denn eigentlich hatte sagen wollen. Das ist wohl das Problemfeld bei Lesungen. Man hat die Möglichkeit von der Autorin zu erfahren, was sie sich gedacht hat. Aber in wieweit muss ein Text auch einfach alleine stehen? Wie weit kann er das bei einer Lesung? Gebe ich nicht durch das Lesen eine Lesart vor? Mindestens eine Art der Betonung, eine Möglichkeit die Verse miteinander zu verketten? Eine Stimme? Einen Körper?

Die meisten Gedichte in Stuttgart habe ich unterwegs geschrieben. Auf irgendwelchen Bänken, in irgendwelchen Parks, im Wald, an Straßenkreuzungen. Im Sitzen, im Stehen und zumindest inhaltlich im Gehen. Damit bin ich wohl nicht ganz allein. In der griechischen Antike wanderten die Philosophen umher. Irrgärten in Klöstern verbinden seit langem Kontemplation und Bewegung. Schreiben ist etwas ähnliches wie Denken. Es ist bloß stärker an einem Endpunkt interessiert, einer Ordnung. Egal, wie chaotisch oder unzufriedenstellend sie am Ende bleibt.

Die Idee, wie ich meine Gedichte in ihrem Buch verflechten möchte, kommt mir, während ich in einem Park sitze und die Gedichte durchgehe. Nach kurzen Versuchen des digitalen Sortierens, greife ich zur Schere und kreiere einen Haufen Chaos aus circa 160 Schnipseln, die ich dann in kleinere Häufchen Chaos aufteile, ordne. Nach dem Übertragen der Reihenfolge ins Digitale, spiele ich am Computer mit ihnen weiter.

Auch viele andere Schriftsteller*innen verbinden oder verbanden Schreibüberlegungen mit Herumwandern. Es gibt ganze Bücher, die zusammentragen, was verschiedene Literat*innen über ihr Verhältnis zum Gehen geschrieben haben. Ich nehme sie in der Bibliothek in die Hand und stelle sie dann wieder zurück, bleibe bei den allgemeineren Auseinandersetzungen mit dem Spazieren. Einige Generationen lassen sich verschiedene Worte für mehr oder weniger produktives Gehen einfallen. Da ist das Flanieren der Dandys, die Derivé der Situationisten. Wieso funktioniert Gehen und Denken so gut als Kombination?
Ich lese in einem Buch über das Spazieren, dass dabei Einzeleindrücke in eine Abfolge treten; sie schaffen ein Gesamterlebnis, das mehr ist als seine Einzelteile. Das ist hoffentlich etwas, das in meinen Gedichten funktioniert. Der Ausgangspunkt sind oft einige wenige Worte, die etwas beschreiben oder von etwas angestoßen sind, das mir begegnet. Dann verketten sie sich und wachsen.

Nach längerer Zeit besuche ich einen Park, in dem ich anfangs relativ häufig war. Dann war das Blumenbeet von seinen verblühten Bewohner*innen befreit und umgegraben worden und ich entdeckte andere grüne Ecken. Als ich jetzt zurückkomme, blühen Löwenmäulchen in dem Beet, aber da die einzige schattige Bank in der Nähe besetzt ist, gehe ich weiter den Hügel hoch, bis ich wieder Schatten finde. Während ich lese, erklimmen andere den Hügel und verzweifeln an der Steigung. Es ist sehr warm. Als ich eine Flachland-gewohnte Freundin hier heraufgezerrt hatte, hatten wir vermutet, dass die Stuttgarter*innen besser mit Steigung klarkommen als Norddeutsche, aber auch sie scheinen ihre Grenzen zu haben.

Ich könnte die Ausgangspunkte beschreiben. Oft kann ich noch viel später sagen, was einen Text inspiriert hat, egal wie winzig und unbedeutend. Geschriebene aber auch gelesene Texte funktionierten wie Zeit- und Teleportationsmaschinen. Wenn wir an sie denken, sie wieder betrachten, kehren wir häufig an die Orte und Zeitpunkte zurück, als wir sie kennengelernt haben. Und dann, nach und nach, wann wir ihnen wieder begegnet sind und wieder und wieder. Ad infinitum. Sie sind wie Erinnerungen, die wir mit jedem Besuchen überschreiben. Nur, dass es einfacher fällt zu argumentieren, dass es vom Schriftlichen die eine originale, objektive Version gibt, an die wir versuchen können, uns anzunähern, die wir überprüfen können. Trotz Tinte auf Papier bin ich mir nicht sicher, dass das funktioniert. Wer kann mit ganzer Sicherheit behaupten, dass sich die Worte nicht verändert haben, wenn man ihnen erneut begegnet, aber sich anders an sie erinnert? Und selbst das ist nicht wirklich relevant. Welche Texte sind schon nur die geschriebenen Worte?

Schreiben verstehe ich auch immer als ein Spiel mit Verschlüsselung. Ich kann eine Blume so beschreiben, dass du glaubst, sie wäre ein Stein. Ich kann auf die Dächer schauen und in ihnen ein Meer finden oder die Schuppen eines Tiers oder Freiheit. Ich kann dich nah an mich heranlassen oder auf Abstand halten, ohne dass ich selbst unbedingt begreifen muss, was was ist. Meine Gefühle können sich verraten oder verbergen, ohne dass die Grenzen klar sein müssen. Und oft ist das vielleicht auch gar nicht so wichtig.

Den bisherigen Text habe ich hier geschrieben. In dem Parkhaus, auf dem Dach. Bis der Himmel zu sehr nach Unwetter aussieht. Indigo hinter gelben Kränen. Papier ist verletzlich gegenüber Gewittern und ich selbst auch. Also ziehe ich um, gehe nach Hause. Wie schnell fühlt sich ein Ort nach zu Hause an? Wie schnell und in welchen Beschränkungen erkennt man eine neue Heimat an? Und (wer) wird im Gegenzug an diesem Ort anerkannt?

In einem Museum in Schwäbisch Gmünd steht ein anderer Besucher vor einer alten Karte neben mir. Einer vom Aufsichtspersonal kommt dazu, fragt, wo wir denn herkommen.
Fellbach“, sagte der andere.
Hm, das ist dann aber nicht mehr auf der Karte“, sagt die Aufsichtsperson.
Ich sage nichts, weiß nicht, was ich hätte antworten sollen.
Die Aufsichtsperson erwartet es auch gar nicht, denkt dass ich zu dem Mann gehöre. „Und dann sind Sie heute hier hergekommen?“
Im Museum ist es ja meistens kühl“, sagt der Fellbacher.
Stimmt.“
Die Klimaanlage ist kaputt oder funktioniert jedenfalls nicht richtig.
Hier oben scheint es wärmer als draußen zu sein, definitiv stickiger.
Auf jeden Fall ist mein zu Hause nicht auf der Karte.

Zwischen den Häusern sieht der Himmel doch wieder freundlicher aus, aber ich kehre nicht um. Zu oft habe ich mich unwillentlich und willentlich vom Wetter verraten lassen.
Wäre ich zu einer anderen Jahreszeit hier gewesen, hätte ich andere Gedichte geschrieben. Da bin ich mir sicher. Ich weiß nicht, ob sie besser oder schlechter wären, aber auf jeden Fall anders. Vielleicht hätte ich sogar neue Wege finden müssen, sie zu entdecken. Auch hätte ich sie an einem anderen Ort geschrieben, würden sie anders aussehen. Stuttgart ist wohl kaum zwischen ihren Zeilen wiederzuerkennen und doch ist die Stadt mit ihnen verwoben.

Während ich den Text durchgehe und ergänze, kürze, liegt ein Reiseführer neben meinem Laptop auf dem Schreibtisch. Ein Freund hatte ihn mir geschenkt, bevor ich hier hergekommen bin. In meiner Wohnung fand ich mehrere seiner Vorgängerversionen. Auf dem Cover steht:
STU
TTG
ART
Auch er scheint an die Zerstückelung von allem zu glauben. Ich versuche die Bruchstücke nicht untereinander, sondern mit anderen Buchstaben zu ergänzen.
STU -te, -be, -mm, -lle, -dium, -ss, -fe (ich breche ab, obwohl mir noch andere Worte einfallen)
TTG (hier muss ich googeln, zwischen vielen absurden Ergänzungen gefällt mir:) Time To Go
ART -istisch, -ig (dieses Bruchstück kann eigentlich auch alleine stehen)
Was das alles mit Stuttgart zu tun hat, weiß ich nicht, aber es lässt sich dort bestimmt etwas finden.

Miriam Bornewasser
Miriam Bornewasser
Mit der gerade einmal 25-jährigen Dichterin Freya Miriam Bornewasser erhält ein Nachwuchstalent das Stuttgarter Lyrik-Stipendium. Sie wird von April bis Juni 2025 unter unserem Dach wohnen und arbeiten. Miriam Bornewasser hat schon zwei Gedichtbände im Geest-Verlag veröffentlicht, dazuhin ein abgeschlossenes Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie vorzuweisen.