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Buchtipp von Astrid Braun: „Hotel der Schlaflosen“ von Ralf Rothmann

Ralf Rothmann-LeserInnen warten ungeduldig auf jedes neue Buch des Autors. Was meinem Schriftstellerhaus-Kollegen Moritz Hildt Richard Ford ist, ist mir in der deutschsprachigen Literatur Ralf Rothmann, sofern mir der Vergleich gestattet ist. Beide haben eine eigene, unverwechselbare Sprachmelodie. Ihrer beider Art Erzählungen zu komponieren, gleicht sich allerdings nicht.

Ralf Rothmann, der 1953 geborene Autor, aufgewachsen im Ruhrgebiet, ist wie Ford ein Autor, der formal zwischen Erzählung und Roman pendelt. Einem größeren Publikum wurde Rothmann vor allem bekannt durch die Literarisierung des Arbeitswelt, so hat er der untergehenden Welt des Bergbaus ein literarisches Denkmal gesetzt.

„Meine Sprache hat nur dann Schwerkraft, wenn ich aus meinen Erfahrungen spreche“, hat Ralf Rothmann einmal gesagt. Der Autor hat selbst viele Jahre als Maurer gearbeitet, sein Vater war im Bergbau, Rothmanns eindrücklichste Erzählungen und Romane sind seiner Nachkriegskindheit im Ruhrpott gewidmet. Auch die späteren Jahre in Berlin sind ein Erfahrungsschatz, aus dem er schöpft, in dem Roman „Feuer brennt nicht“ hat er einen Schriftsteller zur Hauptfigur gemacht, der – für diese Figur unterstelle ich Rothmann eine außergewöhnlich selbstkritische Position – mehr sich selbst und seine Fantasien liebt als seine Frau. Als dritten Bereich würde ich den Zweiten Weltkrieg nennen. „Im Frühling sterben“ ist sicher einer der stärksten deutschsprachigen Antikriegsromane der letzten Jahre, gleichzeitig ein Roman über transgenerative Traumata.

All die genannten Bereiche finden sich im neuen Erzählband wieder, bereichert um einige Erzählungen, die auf starke Eindrücke beim Reisen schließen lassen. Dem Band ist das Zitat von John Cale „Fear ist a man’s best friend“ vorgestellt. Ist es die Angst vor einer tödlichen Krankheit wie in „Wir im Schilf“ oder die Angst vor einer Hinrichtung wie in der Titelerzählung „Hotel der Schlaflosen“, es sind die Momente von existentieller Panik, die aber auch befreiend wirken können wie in „Das Sternbild der Idioten“. Es kann aber auch die Angst vor einem ausschlagenden Pferd sein, die Rothmann zu einem erschütternden Kipppunkt inszeniert. Ausgerechnet in der Erzählung um „Admiral Frost“, einem großen schwarzbraunen Hengst, der zur Besamung einer scheuen Stute zugeführt wird, kann man die Fertigkeit des Autors studieren, einen komplizierten Bewegungsablauf von ausgerechnet zwei Pferden, der nun wirklich nur wenigen Menschen bekannt sein dürfte, extrem anschaulich und spannend zu beschreiben. Ein Gänsehauterlebnis beim Lesen.

Was ich an Rothmann liebe, ist seine besessene Detailgenauigkeit. Und in seine Darstellung untergegangener Welten ist immer eine große Portion Nostalgie eingenäht, eine Art Herzweh, die fast jede seiner Erzählungen grundiert. „Ein leises Ziehen in der Herzgegend“ ist denn auch die letzte Erzählung überschrieben, als wolle Rothmann seinen LeserInnen die Hand reichen und sie gleich wieder zum Anfang der elf Texte des Erzählbandes zurückführen.

Ralf Rothmann, „Hotel der Schlaflosen“. Erzählungen. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, 206 Seiten, 22 Euro

 

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