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Jaroslav Rudiš und Jaromír99 zu Gast in Stuttgart

Die beiden in Stuttgart nicht ganz unbekannten Künstler Jaroslav Rudiš und Jaromír99 waren am 2. April 2019 zu Gast im Literaturhaus Stuttgart. Den Bericht hat Michael Seehoff verfasst, erschienen zuerst in seinem Blog Elsternest.

Bekannt geworden sind die beiden als Schöpfer des Comics Alois Nebel und als Gründer der tschechischen Kafka Band. Jaromír99 stellt an diesem Abend seine neue Graphic Novel Tschechenkrieg vor. Schauplatz ist die Tschechoslowakei der 1950er-Jahre. Während des Kalten Krieges führen die überaus gut aussehenden Mašin-Brüder ihren ganz eigenen Kampf gegen das kommunistische Regime: Sie verüben Sabotageakte, Überfälle auf Geldtransporter und Sprengstoffanschläge. Doch als der erwartete dritte Weltkrieg ausbleibt, fliehen Josef und Ctirad Mašin nach West-Berlin, um sich der US-Army anzuschließen. Darauf folgt die größte Fahndungsaktion der DDR-Volkspolizei, genannt Tschechenkrieg.

Im Gespräch mit dem Moderator Uwe Ebbinghaus von der F.A.Z. erläutert Jaromír99 die Entstehungsgeschichte des Comics und erzählt, dass er an dem Buch, in dem es überwiegend um Gewalt gehe, zwei Jahre gezeichnet habe. Das sei ihm als pazifistisch eingestelltem Menschen nicht immer leicht gefallen. Während der Arbeit an dem Comic habe er weiter komponiert. Den Soundtrack, der bei der Arbeit in seinem Kopf entstanden sei, brachte er zu Papier. An diesem Abend präsentiert er mit zwei seiner Kollegen von der Kafka Band einige Stücke dieser Musik.

Nach einer kurzen Pause (mit Budweiser Budvar Pils!) geht es weiter mit der Lesung von Jaroslav Rudiš aus seinem neuen Roman Winterbergs letzte Reise:
„Die Schlacht bei Königgrätz geht durch mein Herz“, sagte Winterberg und schaute aus dem beschlagenen Fenster des Zuges. So beginnt dieser neue Roman von Jaroslav Rudiš, den er erstmals im Original auf Deutsch geschrieben hat. Ein eigensinniger Greis und sein genervter Pfleger Kraus reisen anhand des letztmalig 1913 erschienenen Baedeker-Reiseführers für Österreich-Ungarn durch Mitteleuropa. Bald darauf war die Habsburgermonarchie Geschichte, doch Wenzel Winterberg verlässt sich noch heute auf das rote Buch. Und die Schlacht bei Königgrätz, ausgefochten 1866 zwischen Preußen und Österreich, ist die Basslinie, die den Roman grundiert.

„Die Schlacht bei Königgrätz ist der Anfang von allen meinen Katastrophen, der Anfang von allen unseren Katastrophen, wenn man im Zeichen der Schlacht bei Königgrätz geboren wurde, ist man für immer verloren. So bin ich verloren, so ist dieses Land verloren und so sind Sie, lieber Herr Kraus, verloren, ob Sie wollen oder nicht, ja, ja, es gibt kein Entkommen, das kann man nicht so einfach überschienen wie die Alpen.“

Winterbergs letzte Reise ist ein großer europäischer Roman. Oder, wie Rudiš bekundet, ein mitteleuropäischer Roman. Er sehnt sich nach einem starken Mitteleuropa, das wird an diesem Abend klar, aber die politischen Verhältnisse im realen Mitteleuropa sind eher euroskeptisch.

„Wir sterben ganz allein und unsere Geschichten sterben mit uns“, lässt Rudiš Winterberg sagen, „denn heute ist hier niemand, der sich für unsere Geschichten interessiert, niemand, der historisch durchschaut und durchschauen möchte, da kann man sich nicht wundern, was gerade passiert.“ In diesem Buch stehen diese Geschichten im Überfluss. Und eventuell helfen sie uns, die europäischen Spaltungstendenzen besser zu verstehen.

Winterbergs letzte Reise, gebunden mit Schutzumschlag, 544 Seiten, Luchterhand Literaturverlag, 24,00 €

Tschechenkrieg, Jan Novák (Autor), Jaromír Švejdík (Illustrator), Broschiert, 256 Seiten, Voland & Quist, 26,00 €

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